Wildlife Viewing bzw. Tierbeobachtung steht auf unseren Reisen immer ganz weit oben. Gerade Neuseeland ist aber vom Menschen besonders stark überformt, die Tierwelt hochsensibel auf Störungen. Kurz gesagt, das Neuseeland heute ist ganz anders als früher. Ganz Neuseeland? Nein, es gibt einige kleine Inseln, auf denen der Mensch und die Natur Widerstand leisten und besondere Tier- und Pflanzenarten überleben können. Mit einem Besuch auf Kapiti Island im Süden der Nordinsel erleben wir eine diese besonderen Inseln hautnah. Ein unvergessliches Erlebnis. So muss Neuseeland früher gewesen sein.
Wir müssen dorthin
Schon bevor wir nach Neuseeland fahren, ist für mich klar: Ich will Wildlife sehen und zwar in freier Natur. Bereits in unserem Reiseführer wird Kapiti Island als Highlight nahe der Hauptstadt Wellington angeführt. Dennoch finden wir online nur wenige weitere Informationen, kennen auch niemanden, der bereits dort war. Aber allein die Kurzbeschreibung reicht: „Neuseeland wie es früher war“. Wir müssen dorthin, ich will die Vogelwelt, die Vogelstimmen und die Natur so erleben wie es ansatzweise vor dem Menschen ausgesehen hat. Zudem ist das eine geniale Möglichkeit, die Ansätze des neuseeländischen Naturschutzes hautnah zu erleben und zu beobachten.
Auf nach Kapiti Island
Kapiti Island kann man nicht so einfach besuchen. Es gibt nur 2 Touranbieter, die strenge Auflagen erfüllen müssen und die tägliche Besucherzahl ist auf 160 begrenzt. Nachdem das Department of Conservation (DOC, Naturschutzbehörde) jahrzehntelang alle eingeschleppten Tierarten wie etwa Ratten, Possums (Fuchskusus) oder Katzen entfernt und bedrohte neuseeländische Vogelarten erfolgreich angesiedelt hat, will man auf allen Wegen verhindern, dass über Touristen wieder neue Arten eingeschleppt werden.
Aus diesem Grund wird beim Check-In um 8:00 morgens im Hafen von Paraparaumu zuerst das (Wander-)Gepäck kontrolliert. Als Nächstes reinigen wir unsere Schuhe und schreiten durch eine desinfizierende Flüssigkeit, um keine neue Pilze oder Krankheiten über Erdreste oder Sporen an den Sohlen unserer Wanderschuhe einzuschleppen. Um 9:00 geht’s los. Zusammen mit rund 20 anderen, nur neuseeländischen, Wanderern erreichen wir nach nur 20 Minuten Bootsfahrt das Besucherzentrum auf der Insel. Da die Strömung so stark und das Wasser so tief ist, können Schädlinge wie Marder die Strecke nicht überwinden – obwohl die Insel so nah ist.
Wir erreichen die Insel
Wir betreten den Strand und unser Guide Dave lenkt uns gleich zum Besucherzentrum (Unterstand mit ein paar Infotafeln). Hier bekommen wir von Dave eine detaillierte Einführung über die Entstehung der Insel, Geschichte des Abholzens, des Walfangs, des Wiederaufforstens, des Ausrottens eingeschleppter Tierarten und schlussendlich wie die Insel durch Wiederansiedlung bedrohter Tierarten zu einem Vorzeigeprojekt des DOC wurde. Abschließend gibt es kurze Verhaltenshinweise und praktische Hinweise zum Wandern inkl. Routenvarianten. Wir entscheiden uns schnell für eine Route und starten gleich los, denn das Ziel des Tages ist der höchste Punkt der Insel und dabei möglichst viele Vogelarten zu sehen.
Eine unbeschreibliche Stimmung
Die Wanderung durch einen typisch neuseeländischen Wald ist so ganz anders als alle anderen Wanderungen zuvor. Die Lautstärke ist unglaublich. Von allen Seiten hört man Vogelstimmen. Bereits in den ersten 10 Minuten hören wir zumindest 5-6 Arten. Auf anderen Wanderungen oft nur ein paar über mehrere Stunden.
Wir blicken nach oben, ein Tui stößt seine typischen Laute aus, im Hintergrund ertönt der charakteristische Gesang der Bellbirds (Korimako bzw. Maori-Glockenhonigfresser). Vor uns springen Fantails, Saddlebacks und New Zealand Robins im Gebüsch herum. Es ist einzigartig. Wir merken erst hier, wie leer die Wälder Festlandneuseelands eigentlich sind. Wir steigen höher, der Wanderweg führt uns durch Baumfarnschluchten und Wälder dominiert von Nikaupalmen (Rhopalostylis sapida), Tawa (Piper excelsum), Kanuka (Kunzea ericoides) und Kohekohe (Dysoxylum spectabile). Immer wieder blicken wir auf die Küste unter uns. Wir genießen die Ausblicke und die Geräusche der unberührten Natur.
Da taucht plötzlich ein Kaka (Waldpapagei) aus dem Nichts auf. Dessen typische Geräusche kennen wir bereits. Die Kamera ist gezückt. Wir kontrollieren rasch, ob alles niet und nagelfest ist. Kakas sind sehr erfolgreiche Diebe. Wir beobachten den Kaka fasziniert und wandern weiter.
Gut ausgebautes Wandernetz
Mundraub
Bei einem Picknickplatz auf halber Strecke hören wir Geschrei – wir springen hin und treffen auf eine Gruppe junger Neuseeländerinnen. Ein Kaka hat einer jungen Neuseeländerin das Brot buchstäblich aus dem Mund geraubt. Ich will das auch. Ich setze mich auf die Bank und jausne demonstrativ und aufmerksam ein wenig. Erfolglos. Der Kaka ist bereits satt. Ich nun auch.
Wir trauen unseren Augen kaum
Der Weg führt mehrere Kilometer bergauf. Immer wieder knackt das Geäst, wenn sich die riesigen fetten neuseeländischen Maori-Fruchttauben in den Ästen bewegen. Ein Wunder, dass diese größten aller flugfähigen Tauben nicht einfach abstürzen. Plötzlich hört Vicky ein Geräusch. Ich erstarre, schalte die Kamera ein und bewege mich lautlos und rasch zu ihr. Wir haben ihn entdeckt. Einen der seltensten Vögel Neuseelands: Den Takahe. Ein scheues Männchen bahnt sich den Weg durch das Unterholz. Die hühnergroßen Rallenvögel schimmern bläulich, wir halten inne und genießen den Moment. Es ist unbeschreiblich – wir sehen einen der letzten Individuen dieser fast ausgestorbenen Art. Ein besonderer Moment.
Am Gipfel des Tuatemoana
Nach einer Weile zieht der Takahe weiter – also auch wir. Nach knapp 2 Stunden erreichen wir schlussendlich die höchste Erhebung der Insel, der Tuatemoana (521 m). Gemeinsam mit diebischen Weka machen wir unseren wohlverdienten Jausenstopp. Bei Brot, Schinken, Tomaten, Paprika und Müsliriegel genießen wir die Aussicht und hoffen darauf, einen der Wale oder Delfine zu sehen, die sich im Meer rund um die Insel herumtreiben sollen. Es bleibt bei der Hoffnung – aber kein Problem. Wir blicken auf die Uhr: Es wird Zeit, weil unsere Zeit auf der Insel begrenzt ist. Um 14:00 geht unser Boot zurück.
Wir gehen denselben Weg zurück. Mittlerweile ist es früher Nachmittag. Obwohl die Vogelstimmen leiser geworden sind, hören wir dennoch immer noch erstaunlich viele Vögel. Wir genießen die letzten Meter, müssen aber die Uhr im Blick behalten.
Plötzlich kommt ein Guide des zweiten Touranbieters auf uns zu und sagt uns: Dort hinten auf der Wiese, dort könnt ihr 2 Takahe sehen. Da wir unser besonderes Takaheerlebnis bereits hatten und die Zeit eng wird, antworten wir lapidar: „Toll, wir haben aber auch schon einen weiter oben lange beobachtet.“ Wir denken uns nichts weiter, Vicky geht vor Richtung Sammelpunkt und Boot, ich mache einen kurzen Abstecher zu den zwei Takahe. Wir lassen den Guide zurück, der nicht versteht, warum wir nicht in Enthusiasmus ausbrechen. Es scheint, er glaubt uns nicht ganz.
Aufregung
Zehn Minuten später kommen wir zum Treffpunkt am Besucherzentrum. Unser Guide Dave stürmt aufgeregt auf uns zu: „Seid ihr die Zwei die den Takahe auf dem Berg gesehen haben? Habt ihr Fotos? Wo war das?“ Wir sind erstaunt und plaudern ein wenig mit ihm. Wir erfahren mehr: Dieser Takahe mit Namen Blitzen ist seit Wochen verschollen. Keiner hat etwas von ihm gesehen oder gehört. Wir tragen es gleich im Sighting Board im Besucherzentrum ein.
Das DOC vermutete bereits, dass er tot sei. Dabei ist das Tier unendlich wertvoll: Es ist das einzige Männchen auf der Insel. Dessen Verlust wäre ein riesiger Rückschlag im Erhalt der letzten 350 noch lebenden Takahe, wovon gerade mal 5 auf Kapiti Island leben. Wir haben das erste Lebenszeichen dieses Takahe mitgebracht. Dave ist ganz enthusiastisch. Wir vereinbaren, dass ich ihm noch ein paar Fotos maile, die er an das DOC weiterleitet, um die Identifikation anhand der Beringung am Bein des Vogels zu bestätigen. Dies ist noch ein besonderer Abschluss.
Dave ist glücklich, das DOC ist glücklich, es ist ein Glücksfall für den Arterhalt des Takahe. Also sind auch wir glücklich über dieses außergewöhnliche Erlebnis. Passenderweise begleiten uns noch ein paar Delfine auf der Rückfahrt aufs Festland.
Unser Fazit
Kapiti Island ist ein unerwartetes Highlight unserer Reise. Die Geräuschkulisse ist einzigartig. Wir können eine Tour nach Kapiti Island jedem empfehlen, der an der Natur Neuseelands interessiert ist und sich einmal wie ein früher Entdecker der Insel fühlen will. Die große Anzahl unterschiedlichster Vogelstimmen werden wir nie vergessen. Man kann auf einer rund 3-4 stündigen Wanderung viele der für Neuseeland typischen endemischen Vogelarten sehen.
Praktische Informationen
Es gibt nur zwei autorisierte Anbieter (Kapiti Island Nature Tours und Kapiti Island Eco Experience), die Touren auf die Insel durchführen dürfen. Wir waren mit Eco Experience unterwegs, beide Anbieter sind aber hochprofessionell und empfehlenswert. Die Da die Besucheranzahl strikt auf maximal 100 pro Tag bei Rangatira (wo wir waren) und auf maximal 60 im Nordteil limitiert ist, wird eine Vorreservierung vor allem in der Hauptsaison empfohlen. Wir haben einen Tag früher angerufen. Da waren noch Restplätze frei – allerdings war die Hauptsaison Anfang April bereits vorbei. Die Touren finden von Anfang September bis Mitte Juni statt. Im Hochsommer kann man auch baden, uns war es aber bereits zu kalt.
Jede Tour beinhaltet:
• Bootstransfer von Paraparaumu nach Kapiti Island und retour (ca. 30 Min Fahrtzeit pro Strecke)
• Briefing und Hintergrundinformationen im Besucherzentrum auf Kapiti Island
• Kurzinfos zu den Vogelarten im Boot
Auf der Insel selbst kann man sich unter Einhaltung des Wegegebots frei bewegen und eigenständig einen der drei Wanderwege erkunden. Zwischen 14:00 und 15:00 fahren alle Boote wieder zurück.
2 Kommentare
Danke für die tollen Beiträge. Sie sind super interessant, gut geschrieben und vor allem bringen sie uns auch ungewöhnliche Orte näher. Da bekommt man richtig Lust!
Vielen Dank! Das freut uns sehr! Wir bemühen uns trotz der vielen Eindrücke und den immer wieder neuen Erlebnissen auch Zeit zu finden, euch daran teilhaben zu lassen.